Sturmlandung

Ich sitze in am Platz und gucke in den blauen Mittagshimmel – es ist schwülheiß und im Westen beginnt eine eindrucksvolle Überentwicklung. Die Wettervorhersage am schwarzen Brett spricht von Sturmböen und Hagel am Nachmittag. Wird wohl heute nichts mehr mit Fliegen ...

Gegen Nachmittag hat sich aber nicht viel verändert. Gut, die Cumuli sind höher, aber es sieht nicht wirklich schlecht aus. Und über mir saugt es die Flieger nur so nach oben. Also setze ich mich schließlich doch in den Astir CS, für ein paar Runden am Hang. Ich bin noch in der Ausbildung, und ein bißchen Übung kann nicht schaden.

Am Hang ist die Welt in Ordnung – mit konstant 1-2 Metern geht es solide nach oben. Und je höher ich komme, umso besser kann ich über die Berge das Wetter im Westen sehen. Gar nicht schön. Sehr schwarz, und viel näher, als vom Boden aus erkennbar. Während ich noch darüber nachdenke, melden sich über Funk die Hagelflieger aus Vogtareuth (sie impfen die Wolken mit Silberjodid, um die Hagelbildung zu verhindern), um den Platz vor eben dieser eindrucksvollen Front zu warnen, die ich jetzt so gut sehen kann. Eine Minute später ruft die Flugleitung alle Flieger zurück: „Alles sofort zum Platz und landen“.

Ich habe mittlerweile abseits vom Hang direkt über dem Platz einen guten Bart mit 2-4 Metern Steigen gefunden. Nachdem hier das Wetter noch gut ist, beschließe ich halb gegen die Anweisung, den schönen Bart noch mitzunehmen ich muss ja schließlich nicht gleich als Erster landen, und  über mir sind außerdem noch massenhaft andere Maschinen im selben Bart, die auch noch weiter kurbeln.

Aber schon kurz darauf ist wieder jemand am Funk: „Die Böenwalze ist jetzt an der Kampenwand“. Das ist verdammt nah. Ich segle viel auf dem nahegelegenen Chiemsee und weiß sehr gut, was jetzt kommt – gerade in Chiemseenähe entwickeln sich am Boden sehr schnell extrem turbulente Sturmböen. Und die sind schon achtungseinflößend, wenn man ihnen auf der Erde ausgesetzt ist. In der Luft - na danke...

Also, schnellstens zur Landung. Dachte ich. Der Astir war dagegen, oder vielmehr die Wolke über mir. Das Vario ist jetzt am Anschlag – volles Steigen. Ich kriege die Höhe einfach nicht weg. Auch die Klappen helfen so gut wie nichts. Also nehme ich die horizontale Option: Weg von der Wolke, in der für den klapprigen Astir höchsten noch vertretbaren Fahrt mit ausgefahrenen Klappen. Immer noch Steigen!

Dann komme ich an den Rand des Aufwindfeldes. Es geht abwärts. Aber wie! Meine gesamte Ausrüstung erprobt ihre ballistischen Eigenschaften. Turbulenzen von dieser Brutalität habe ich noch nie erlebt. Und ich kriege das herumfliegende Zeug nicht zu fassen, wie auch, ich habe genug zu tun, eine Hand am Klappenhebel (die versuche ich gerade wieder einzufahren, was gar nicht so leicht ist bei dem Hin- und Her), die andere am Knüppel. Solange das Zeug mir nicht die Nase bricht oder die Seitenruder blockiert, bin ich zufrieden. Die Plastik-Wasserflasche kommt haarscharf an meinem Kopf vorbei und verschwindet Richtung Flächenanschlüsse. Gut so, da kann sie nichts anstellen. Meine Geldbörse hat den Akt ihrer Selbstbefreiung vollendet, ihr Inhalt ist im Cockpit verstreut.

Meine Kollegen haben scheinbar die selben Probleme. Ich habe noch nie so viele Maschinen im mehr oder weniger gleichzeitigen Landeanflug gesehen. Wenn man das so nennen kann. Eigentlich sieht es mehr aus wie Luftrodeo. Ich muss kurz an den Gleitschirm denken, den ich kurz zuvor über der Hochplatte sah. Da ist jetzt die Böenwalze angekommen, sagt der Funk. Ob er es geschafft hat?

Brachial nach unten. In Wellenlinien und wilden Kurven, eine Bö nach der anderen trifft die Maschine wie eine riesige Hand, das Vario spielt total verrückt und pendelt zwischen Extremen. Meine Ausrüstung auch. Mein Puls hat sich auf das obere Extrem festgelegt. Mit 400 Metern Höhe über Grund komme ich in einem wilden Auf und Ab an der Achenbrücke an, der Einstieg in die Platzrunde.

Ein paar Meter weiter, an der Position, habe ich nur noch 200 Meter. Verdammt, verdammt, verdammt. Ich schaffe es nicht mehr. Vario am Anschlag, in der falschen Richtung. „Das war’s“, geht mir durch den Kopf. „Du machst Bruch“.

Ein anderer Teil meines Bewusstseins kümmert sich in bewundernswerter Sturheit um die Routine. Fahrwerk raus. Meldung an der Position – zum Teufel damit, ich habe genug zu tun, und wahrscheinlich starren ohnehin alle nach oben und sehen, was los ist. Links unter mir, die Landebahn, voller Flieger, die alle in wilder Hast irgendwie und irgendwo runtergekommen sind, einen solchen Massenauflauf habe ich noch nie gesehen, nicht zu schaffen, wenn ich jetzt eindrehe. Vor mir der Buchberg. Rechts hügelig mit Vegetation. Schräg rechts voraus das Moor. Das geht vielleicht noch. Alles andere kann ich vergessen. So wie es hier runtergeht, komme ich nur noch ein paar Meter weit.

Seltsam, wie sich der eine Teil des Bewusstseins mit Ratio und Routine befasst, während der andere schlicht Angst hat. Ich fliege seit eineinhalb  Jahren und habe noch nie eine Außenlandung gemacht – schon gar nicht in einem solchen Tohuwabohu. Ich habe schon ein paar Sturmböen hier erlebt und komme damit prima klar – aber so was, das ist eine neue Dimension. Die Maschine ist kaum noch zu fliegen. Nach der Landung höre ich, dass das auch ein paar andere, die sehr viel länger fliegen, so etwas noch nicht erlebt haben.

Im letzten Moment sehe ich, wie es die anderen Flieger direkt vor mir brachial nach oben reißt. Sekunden später passiert mir das selbe. Aufatmen, die Außenlandung hat sich erledigt. Aber ich habe jetzt ein anderes Problem: am Buchberg, wo ich eigentlich in den Queranflug gehen sollte, bin ich schon wieder auf fast 300 Meter über Platz – viel zu hoch!

Das Muffensausen ist weg – schon allein, weil ich jetzt die Maschine kaum noch halten kann und so viel zu tun habe, dass gar keine Zeit für andere Gedanken ist. Brutale Schläge, ich kann mich nur noch um halbwegs horizontale Fluglage und um genügend Fahrt kümmern. Letztere wird Sekunden später zu einem Problem – die vor mir wild torkelnde K13 (Gott – wird meine Kiste auch so gebeutelt?) ist zu langsam, ich zu schnell. 50 Meter Abstand sind bei diesem Theater zu wenig. Aber ich kann nicht ausweichen – rechts unter mir ist der Buchberg, für die Turbulenzen ohnehin viel zu nah. Links ist der Endanflug, und viel Verkehr... Ich versuche Fahrt in Höhe umzusetzen, leichter gesagt als getan bei diesem Chaos, und gegen meinen Willen, denn ich will runter, nicht hoch.

Der kurze Queranflug ist eine einzige Katastrophe. Ich kann mich nicht mehr an Einzelereignisse erinnern, weil sich die Lage so rasend schnell verändert. Vor mir habe ich nur noch zwei Maschinen in Sicht, und keine kann mehr richtig Kurs halten, alles taumelt unkoordiniert durch die bewegten Luftmassen. In den Turbulenzen ist nicht mehr absehbar, wer wann wo ist, es fühlt sich an, als wären wir in den Schleudergang einer Waschmaschine geraten.

Auch an den Endanflug erinnere ich mich nicht mehr richtig, mein Gehirn und mein Körper sind auf Automatikbetrieb, es ist fast so, als würde ich als unbeteiligte Person zusehen, wie ein den Elementen ausgeliefertes Flugzeug zur Landung gesteuert wird. Ich weiß nur noch, dass mich kurz vor der Bahn eine Bö wie ein Hammer von der Seite traf. Später erzählte man mir, ich hätte eine so abenteuerliche Querlage gehabt, dass keiner mehr einen Pfennig auf mich gegeben hätte. Aber irgendwie bekam ich die Maschine nicht nur wieder unter Kontrolle, sondern auch exakt über die Landebahn. Ich habe keine Ahnung, wie.

Der Rückenwind weht mit etwa 60 km/h und ich donnere deshalb mit fast 200 km/h Fahrt über Grund über die Bahn. Und ich komme einfach nicht runter. Die Nase zeigt gefühlsmäßig etwa 30-40 Grad nach unten, aber ich fliege schnurgerade nach vorne! Keine Ahnung, wie die beiden vor mir runterkamen, sie rollen jedenfalls gerade links raus.

Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie ich es geschafft habe, herunterzukommen und aufzusetzen, ohne dabei die Nase in den Boden zu bohren. Jedenfalls klappte es, ich weiß nur noch, dass ich den Knüppel für einen Moment etwas zurück nahm – und Sekunden später wieder die Landebahn aus ein paar Metern Höhe betrachten konnte.

Meine Reaktion darauf war seltsam: Ich wurde wütend. Richtig wütend. Weil ich heil und sicher gelandet und nun doch darum betrogen war. Aber endlich hatte ich die Maschine dann doch unten und da blieb sie auch, von ein paar kleinen Hüpfern abgesehen. Ich hatte die 1000 Meter der Landebahn in voller Länge gebraucht und rollte am Boden zur Krönung noch darüber hinaus (und ich kann eigentlich normalerweise ganz gut kurzlanden) ...

Als ich ausstieg, rauchte ich noch vor Wut und war gleichzeitig ungeheuer erleichtert. Ich fühlte mich wie ein Autofahrer, der um ein Haar einem schweren, unausweichlich scheinenden Unfall gerade noch entkommen ist. Das hätte böse ins Auge gehen können. Ich war die letzte Maschine, die auf der 06 runterkam – sofort danach wurde die Landerichtung umgedreht und die 24 eröffnet. Dort landete kurz darauf eine K8 mit Kati Döderer am Steuer. Der Gegenwind war stark genug, um ihr eine Hubschrauberlandung zu bescheren. Sie setzte fast senkrecht auf – und stand augenblicklich, ohne einen Meter zu rollen. Einfach so.

Auf dem Platz war Chaos. Überall standen die in großer Hast gelandeten Flieger, manche konnten kaum richtig aus der Bahn gezogen werden, da rannte schon wieder alles nach den nächsten Maschinen. Und was neu runterkam, blieb oft genug wie die K8 einfach stehen. Mitten auf der Bahn. Jeder wartete eigentlich darauf, dass es krachte – immerhin waren ja viele der Maschinen in der Luft mit Schülern so wie mir besetzt. Doch wie durch ein Wunder ging alles gut. Mancher ist in diesen Momenten vielleicht ein Stückchen über sich selbst hinaus gewachsen.

Als sich eine halbe Stunde später die Lage wieder normalisiert hatte, suchte ich meinen Kram zusammen. Die Wasserflasche lag nun vorne an den Pedalen – keine Ahnung, wie sie dahin gekommen war. Meine Mütze fand sich flachgesessen in der Sitzwanne. Aha. Keine Idee, wie sie von meinem Kopf unter meinen Hintern gekommen ist. Ich dachte, ich hätte sie immer noch auf dem Kopf. Meine Sonnenbrille war von meiner Nase in die Seitentasche gewandert, in der meine Geldbörse gelegen hatte. Deren Inhalt war gleichmäßig im Flieger verteilt. Der Astir sah innen aus wie ein Unfallwagen nach der Bergung.

Nach meinem Flug habe ich mir überlegt, was die Lehren daraus waren. Zunächst: Ich habe eine Menge dazugelernt. Aber ich habe auch Fehler gemacht. Bei der ersten Sichtung der Front hätte ich – speziell mit meinem über 10 Jahre beim Segeln gesammelten Wetterwissen dieser Gegend – sofort landen sollen. Nach der Warnung durch die Hagelflieger und dem Rückruf aller Maschinen noch in einen Gewitterbart einzusteigen und ihn fast auszukurbeln, war schon fast grob leichtsinnig. Andererseits – nachdem die Sache gut ausgegangen ist, möchte ich die Erfahrung nicht missen. Vielleicht bewahrt sie mich einst vor gröberen und folgenreicheren Fehlern.

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